Bildung und Kultur mit Älteren in Zeiten von Corona
Gespräch zwischen Larissa Weilnau (Leiterin der LAB 1.1.2021), Hartmut Boger (Förderverein Akademie für Ältere e.V. und freiberuflicher Dozent) und Heinz Porten (Geschäftsführer Akademie für Ältere)
Porten: Was hat sich durch den coronabedingten Lockdown Mitte März geändert gegenüber vorher?
Boger: Ich unterrichte an drei unterschiedlichen Einrichtungen, die auch unterschiedliches Publikum haben. An der vhs Wiesbaden, am Nachbarschaftshaus Wiesbaden und am Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung der Uni Mainz.
In der vhs musste meine Arbeitsgemeinschaft Politik am Nachmittag nach der zweiten von insgesamt 8 geplanten Veranstaltungen abgebrochen werden. Das Literaturseminar im Nachbarschaftshaus musste komplett ausfallen.
An der Uni Mainz sollte der Unterricht Mitte April beginnen, wurde aber zur Umstellung auf Digitalunterricht um bis zu vier Wochen verschoben. Als Lernplattform wurde Moodle angeboten, als Konferenzsoftware BigBlueButton (BBB). Dafür gab es Einführungsseminare für die Lehrkräfte und Gebrauchsanleitungen für die Teilnehmenden.
Weilnau: Die LAB hatte von Mitte März bis Anfang August für Publikum geschlossen. Ab Mai haben einzelne Kurse aber ihre Treffen nach draußen verlegt und im Juli gab es ein kleines Ausflugsprogramm. Maria Honrath und weitere LAB-Mitglieder haben von März bis Mai viel mit den Mitgliedern telefoniert, um das Gemeinschaftsgefühl in der LAB aufrecht zu erhalten. Seit August sind wieder Präsenzkurse und –Veranstaltungen möglich, allerdings mit sehr reduzierter Teilnehmerzahl.
Porten: Herr Boger, wie wurde die Umstellung von Präsenzveranstaltungen zu Onlineseminaren vom Publikum angenommen?
Boger: An der Uni Mainz wurde der Unterricht am besten angenommen, die TN-Zahl ging allerdings um ca. 1/3 zurück. Das Interesse an der vhs war sehr gedämpft: Von 31 angeschriebenen TN haben 14 geantwortet und letztendlich haben 6- 8 teilgenommen. Beim NH haben von 14 TN 2 aktives Interesse angemeldet. Sehr gut bewertet wurde, dass ich vor Seminarbeginn ein Vorbereitungstreffen vereinbart habe, um den Umgang mit BBB zu üben, so dass wesentliche technische Probleme schon besprochen und teilweise gelöst werden konnten. Dabei hatte ich vorher noch nie selbst ein Online-Seminar gestaltet und hatte auch keine Erfahrung mit Online-Konferenzen. In den Corona-Zeiten musste ich wie alle anderen ganz schnell umschalten und mich einarbeiten.
Porten: Frau Weilnau, gab es auch in der LAB Online-Angebote:
Weilnau: Nein, uns fehlte dazu noch die technische Ausstattung. Wir werden aber in diesem Bereich investieren und möchten unsere Teilnehmer mit Hilfsangeboten an diesen Bereich heranführen, gerne auch im Austausch der Generationen.
Porten: Herr Boger, worin bestehen die Unterschiede zwischen Online- und Präsenzunterricht?
Boger: Die dreidimensionalen Körper aller TN werden zu zweidimensionalen Porträtbildern in Briefmarkengröße. Es gibt keinen gemeinsamen Raum, peripheres Sehen wird unmöglich, die Körpersprache spielt keine Rolle, auch mimische Äußerungen und Kommentare entfallen. Das Bewusstsein, als Gruppe gleichzeitig in einem Raum sich mit einem Gegenstand zu beschäftigen, entfällt. Es entwickelt sich kein richtiges Teamgefühl. Reduktion auf kognitives Lernen, die emotionale Dimension fehlt. Gemeinsame Pausen, in denen im informellen Kontakt viel geklärt wird, entfallen.
Porten: Wie waren die Rückmeldungen der Teilnehmenden zum Online-Unterricht?
Boger: Wir haben – und hier geht es jetzt ausschließlich um meine Seminare an der Uni MZ – versucht, das Beste aus der Situation zu machen: Wir haben uns diszipliniert, brav die Mikros ausgeschaltet, wenn wir nichts zu sagen hatten usw. Aber was für ein befreiendes Erlebnis war es, uns zum Abschluss in einem Lokal im Freien zu begegnen und die Erfahrung zu machen, dass wir alle dreidimensionale körperliche Menschen sind!
Porten: Was haben Sie selbst im Online-Unterricht am meisten vermisst?
Boger: Die gemeinsame Raumerfahrung und das gesellige Beisammensein, das auch lockere Witze und Abschweifungen ermöglicht. Die Verständigung über gemeinsame Improvisation geht verloren, das nur im unmittelbaren Gemeinschaftserlebnis möglich ist.
Porten: Wie kann man ihrer Einschätzung nach die Menschen dazu bewegen, die vielleicht ungeliebte digitale Technik zu nutzen, da Präsenzveranstaltungen wahrscheinlich noch für längere Zeit nur schwierig oder mit deutlich geringerer Teilnehmerzahl durchführbar sind?
Boger: Es ist wichtig, möglichst einfach zu nutzende Tools zu verwenden. Ich habe mehrere ausprobiert und habe mit BBB die besten Erfahrung gemacht, da die Nutzung keine Installation und keine Registrierung erfordert: Man klickt auf den Link, der einem zugesandt wird, meldet sich mit seinem Namen an, loggt sich ein - und schon ist man im Seminar. Jetzt muss man nur noch sein Mikro und seine Kamera aktivieren – sofern vorhanden. Dabei gab es die meisten Probleme: Selbst die Uni-TN hatten kaum Headsets, nicht mal einfache Kopfhörer, durch die Rückkopplungen vermieden werden können.
Zweitens, dass es kostenlose, mglw. ehrenamtliche Unterstützung und Beratung bei technischen Problemen geben muss, die die Menschen in den Einrichtungen oder sogar daheim persönlich beraten und unterstützen muss. Dafür suchen wir gegenwärtig Möglichkeiten.
Und drittens, dass virtuelle Treffen natürlich nicht die persönliche Begegnung ersetzen können, aber doch mehr Teilhabe gestatten, als wenn man alleine daheim bleibt. Viele Senior*innen nutzen die Technik ja heute auch, um mit weiter entfernt lebenden Freunden, Kindern oder Enkeln in Kontakt zu bleiben.
Viertens bleibt uns deshalb die Aufgabe, trotz der genannten Nachteile gerade die älteren Menschen zur Nutzung der Online-Bildungsangebote zu ermuntern und zu ermutigen und ihnen bei der Bewältigung der technischen Probleme zur Seite zu stehen. Hierfür braucht es bei den Bildungsanbietern gut geschultes, vertrauenswürdiges Personal, das auch für Hilfeleistungen vor Ort zur Verfügung steht.
Weilnau: Ich kann Herrn Boger da nur unterstützen. Ich habe mit BBB und Zoom die besten Erfahrungen gemacht. Die LAB wird zwei Laptops anschaffen, mit denen wir unseren Teilnehmern demonstrieren wollen, wie man die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation nutzt. Wir möchten Ängste nehmen und Hürden abbauen und die Menschen dabei unterstützen, die digitale Technik für sich zu nutzen. Im Moment vielleicht zum Teil als Ersatz, später aber auch als Ergänzung zur persönlichen Begegnung, die neue Möglichkeiten bietet.
So gerne wir uns alle persönlich begegnen und miteinander feiern, lernen oder uns unterstützen, bietet die Coronakrise doch auch die Möglichkeit, neue Wege und Lösungen zu finden, die uns auch danach die Chance geben, unser Angebot und unsere Möglichkeiten zu erweitern. Dazu werden wir im Herbst auch ein spannendes generationenübergreifendes Angebot zur Nutzung der neuen Technik weiterführen.
Porten: Frau Weilnau, Herr Boger, vielen Dank für dieses Gespräch.